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Vorsteuerabzug bei Unternehmern mit Ist-Besteuerung: Änderungen und Auswirkungen

Erfahren Sie, welche Änderungen das EuGH-Urteil zum Vorsteuerabzug bei Unternehmern mit Ist-Besteuerung mit sich bringt. Wir beleuchten die Auswirkungen auf das deutsche Umsatzsteuerrecht, unterscheiden zwischen deutschen und unionsrechtlichen Regelungen und betrachten die praktischen Konsequenzen für betroffene Unternehmer. Entdecken Sie, ob Handlungsbedarf besteht und welche Möglichkeiten sich aus diesem Urteil ergeben. Bleiben Sie informiert über die neuesten Entwicklungen im Steuerrecht.

Wann kommt es zum Vorsteuerabzug aus Leistungen eines Unternehmers mit Ist-Besteuerung?

 

Im Urteil vom 10.02.2022 hat der EuGH (Europäischer Gerichtshof) entschieden, dass die Regelungen im deutschen Umsatzsteuerrecht im Hinblick auf den Vorsteuer-Abzug aus Leistungen eines Unternehmers mit Ist-Besteuerung nicht mit dem Unionsrecht vereinbar sind.

Im Vorfeld hatte das Finanzgericht (FG) Hamburg über den Zeitpunkt des Vorsteuerabzugs bei Leistungen durch einen Unternehmer mit Ist-Besteuerung zu entscheiden (Beschluss v. 10.12.2019, 1 K 337/17). Das FG Hamburg hatte ernste Zweifel, ob das deutsche Umsatzsteuerrecht im Einklang mit dem Unionsrecht steht. Im Ergebnis hat der EuGH diese Zweifel bestätigt.

Wann dürfen Sie im deutschen Umsatzsteuerrecht die Vorsteuer abziehen?

 

Gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG entsteht das Recht des Leistungsempfängers auf Vorsteuerabzug, wenn die Lieferung oder sonstige Leistung an ihn ausgeführt worden ist und ihm eine ordnungsgemäße Rechnung vorliegt. Dabei spielt es keine Rolle, ob Sie als Leistungsempfänger der Soll- Besteuerung (Besteuerung nach vereinbarten Entgelten) oder der Ist-Besteuerung (Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten) unterliegen. Auf den Zeitpunkt der Zahlung kommt es (außer bei Anzahlungen) nicht an.

Beispiel: Unternehmer A liefert im August eine steuerpflichtige Maschine an den vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmer B. Die Rechnung geht B noch im August zu, allerdings erfolgt die Bezahlung erst im September.

Fall 1: A unterliegt der Soll-Besteuerung

Die Umsatzsteuer für die Lieferung der Maschine entsteht mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums August, in dem die Lieferung erbracht wurde. Das Recht auf Vorsteuerabzug durch Unternehmer B entsteht mit Lieferung und Erhalt der Rechnung im August. Auf den Zahlungszeitpunkt im September kommt es für den Vorsteuerabzug nicht an.

Fall 2: A unterliegt der Ist-Besteuerung

Die Umsatzsteuer für die Lieferung der Maschine entsteht mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums September, da zu diesem Zeitpunkt das Entgelt vereinnahmt wurde. Das Recht auf Vorsteuerabzug durch Unternehmer B entsteht mit Lieferung und Erhalt der Rechnung im August. Auf den Zahlungszeitpunkt im September kommt es für den Vorsteuerabzug nicht an.

Wie stellt sich der Vorsteuerabzug im Unionsrecht dar?

 

Art. 167 MwStSysRL (Mehrwertsteuersystemrichtlinie) regelt allgemein, wann das Recht des Leistungsempfängers auf Vorsteuerabzug entsteht. Nach dem genauen Wortlaut entsteht der Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers erst, wenn auch der Anspruch gegen den leistenden Unternehmer auf die abziehbare Umsatzsteuer entsteht. Das bedeutet, die Vorsteuer ist erst dann abziehbar, wenn der Leistende die Umsatzsteuer abführt. Ausnahmen für Leistungen von Ist-Versteuerern sind nach dem Unionsrecht nicht vorgesehen.

Beispiel: Unternehmer A, der der Ist-Besteuerung unterliegt, liefert im August eine steuerpflichtige Maschine an den vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmer B. Die Rechnung geht B noch im August zu, allerdings erfolgt die Bezahlung erst im September.

Lösung: Die Umsatzsteuer für die Lieferung der Maschine entsteht mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums September, da zu diesem Zeitpunkt das Entgelt vereinnahmt wurde. Das Recht auf Vorsteuerabzug durch Unternehmer B entsteht ebenfalls im September, da A zu diesem Zeitpunkt das Entgelt vereinnahmt hat und die Umsatzsteuer abführen muss.

Welche Folgen ergeben sich in der Praxis?

 

Da der EuGH das deutsche Umsatzsteuerrecht zu diesem Thema für unionswidrig erklärt hat, muss diese an die unionsrechtlichen Vorgaben angepasst werden. Betroffen von einer solchen Änderung sind Sie als vorsteuerabzugsberechtigter Unternehmer, wenn Sie Leistungen von einem Ist-Versteuerer beziehen. In Zukunft wird ein Vorsteuerabzug aus Leistungen eines Unternehmers mit Ist-Besteuerung erst bei Zahlung möglich sein. Aktuell ist für Sie als vorsteuerabzugsberechtigter Unternehmer nicht erkennbar, ob Sie die Lieferung bzw. Leistung von einem Unternehmer mit Ist-Besteuerung beziehen oder nicht. Hier muss der Gesetzgeber eine Regelung schaffen, wie für den Leistungsempfänger erkennbar ist, dass der leistende Unternehmer seine Umsatzsteuer nach vereinnahmten Entgelten berechnet (Ist-Besteuerung). Eine Möglichkeit wäre z. B., dass die erforderlichen Rechnungsangaben des § 14 Abs. 4 UStG um einen weiteren Hinweis, nämlich die Eigenschaft des Leistenden als „Ist-Versteuerer“, ergänzt werden.

Handlungsbedarf für betroffene Unternehmer

 

Die Reaktion der deutschen Finanzverwaltung bleibt noch abzuwarten. Unternehmer können bis zu einer gesetzlichen Neuregelung oder einer Änderung der Verwaltungsauffassung auf die Regelung des deutschen Umsatzsteuerrechts vertrauen. Somit besteht für Sie als Unternehmer vorerst noch kein Handlungsbedarf.

Das Urteil kann durchaus positiv in den Fällen genutzt werden, indem der Vorsteuerabzug nach den Regelungen des deutschen Umsatzsteuerrechts zu spät bzw. gar nicht geltend gemacht wurde. Der Leistende muss dabei allerdings Ist-Versteuerer sein. Wenn sich Steuerfestsetzungen für den Zeitraum des Leistungsempfangs nicht mehr ändern lassen, können sich betroffene Unternehmer auf das beschriebene EuGH-Urteil berufen.

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